WHY A BABY DEFINITELY WON’T SAVE YOUR MARRIAGE - ist der Titel eines von ungefähr 500 Artikeln, Büchern und Blog-Einträgen, die alle das gleiche sagen. Alternativ könnte es aber auch der Titel von Milo’s Autobiografie sein; ein Paradebeispiel dafür, das mit dem Kind doch lieber zu lassen, wenn die Ehe schon am seidenen Faden hängt. Man darf den heute 30-Jährigen nicht falsch verstehen: er liebt seine Eltern; ist im Endeffekt natürlich auch froh, auf der Welt zu sein. Aber er ist wohl nicht der Einzige, der sich das ganze Projekt ‘Familie’ etwas anders vorgestellt hat.

– GOLD COAST - AUSTRALIEN | 1990. Milo Lancaster erblickt zusammen mit Einbruch der Dunkelheit das metaphorische Licht der Welt, an einem milden Winterabend im August. Während es nach seiner Geburt noch über ein Jahr dauert, bis seine Eltern sich endlich eingestehen, dass ihre Ehe nicht mehr zu retten ist; und sie weder Milo, noch seiner etwas über vier Jahre älteren Schwester Lucia einen Gefallen damit tun, wenn sie weiterhin ein gemeinsames Familienleben erzwingen, kann sich Milo nicht mal im Geringsten an ein Leben zu viert erinnern. Kein Wunder, immerhin war er noch viel zu jung. Zumindest waren sich seine Eltern einig, zum Wohl der Kinder zusammen zu arbeiten - und dennoch war besonders das Sorgerecht eine komplizierte Frage. Lucia war bereits sechs, konnte ihre eigene Meinung dazu geben. Aber Milo? Der konnte noch nicht mal richtig laufen, geschweige denn sprechen. Im Endeffekt blieb Milo die erste Zeit noch bei seiner Mutter, während Lucia bei ihrem Vater lebte - aber als er älter wurde, und die Dienstzeiten seiner Mutter nach der Elternzeit wieder zur Norm übergingen, zog auch er zu seinem Vater. Ein Arrangement, mit dem alle recht glücklich waren - die Wochenenden bei seiner Mutter waren immer etwas Besonderes, der Alltag bei seinem Vater genau das: der Alltag. Im Grunde eine glücklichere Kindheit, als würden seine Eltern sich weiterhin durch regelmäßige Streitigkeiten drängen.

Milo war schon immer ein ruhiges Kind. Verbrachte lieber den ganzen Samstag in seinem Zimmer mit einem guten Buch, oder auch gleich mehreren, anstatt durch den Garten zu rennen und Fußball zu spielen. Kein Wunder also, dass er gleich zu Beginn seiner Schulkarriere zu den Klassenbesten zählte, immerhin freute er sich schon fast über Hausaufgaben und Projekte; und gehörte später auch zu den Schülern, die keinen akademischen Wettbewerb verpassten. Besonders in Mathe war er immer gut, - fand Zahlen schon als kleiner Junge einfacher zu verstehen, als die meisten seiner Mitmenschen. Eine Eigenart, die er sich nie ganz abgewöhnt hat, auch wenn er als Teenager auch ein Talent für Fremdsprachen entwickelt hat. Heutzutage weiß er einfach in fünf verschieden Sprachen oft nicht so recht, was er sagen soll. Kurz gesagt: Milo war schon immer ein kleiner Streber, der seine Pausen hauptsächlich in der Bibliothek verbracht hat. Es ist also nicht sonderlich überraschend, dass der Junge Lancaster besonders in jüngeren Jahren Schwierigkeiten hatte, Freunde zu finden - nur um sich im Laufe der Jahre eine kleine, aber enge Gruppe von Gleichgesinnten aufzubauen. Wirklich einsam konnte er auch nie werden: trotz den vier; fast fünf Jahren Altersunterschied zu seiner Schwester, war Lucia immer eine wichtigste Bezugsperson. Seine engste Vertraute, zumindest bis sie als Teenager lieber ihr eigenes Ding durchziehen wollte und auf die schiefe Bahn rutschte.

Milo hatte mit der Trennung seiner Eltern nie ein großes Problem - wie auch? Er kannte es ja gar nicht anders; und man kann bekanntlich nichts vermissen was man nie kennen gelernt hat. Und so verstand er auch den Ärger, die Trauer und den Missmut seiner Schwester nie wirklich, beäugte sie und ihre neuen Freunde nur skeptisch und machte dann wohl den Fehler, seinen Eltern nichts von dem offensichtlichen Fehlverhalten der Truppe zu berichten. - Bis alles eskalierte und Lucia in einen Autounfall verwickelt wurde, der ihr fast das Leben kostete. Die Stunden im Krankenhaus waren fast unerträglich für die Familie, - egal wie sehr die Beziehung zwischen den Geschwistern während Lucias Rebellion gelitten hatte, sie war und blieb seine große Schwester und er wollte sie eindeutig nicht verlieren. Lucias Unfall als Paradebeispiel für die Gefahren von Drogen und Alkohol, hielt sich Milo gekonnt von Beidem fern - selbst nach seinem 18. Geburtstag bleibt er im Umgang mit Alkohol mehr als verantwortlich. Wenn ihn das langweilig macht ( - was er nicht selten schon gehört hat - ) dann sei das nun mal so.

Zur Überraschung von absolut keinem hatte Milo schon in der Grundschule ein Jahr übersprungen, so dass er kurz nach seinem High School Abschluss erst 17 wird - und so ist es nicht einfach seine Eltern davon zu überzeugen, für sein Accounting-Studium nach Canberra zu ziehen, um an der Australian National University zu studieren. Aber der gute Ruf der Hochschule und die Tatsache, dass Milo schon immer vernünftig und verlässlich war, sorgen dann doch dafür, dass es ihn einmal fast die komplette Ostküste des Landes entlang bis in die Hauptstadt verschlägt. Zum ersten Mal wirklich auf sich selbst gestellt, weit weg von Familie und Freunden ist nicht einfach für ihn - die ersten Monate sind schwer, aber Milo ist anpassungsfähig. Kommt mit der Zeit auch etwas aus sich heraus, - findet neue Freude; lässt sich auch mal auf ner Party blicken und hat über die paar Jahre in Canberra auch mal die ein oder andere Freundin. Beschweren kann er sich definitiv über nichts: der Mix aus akademischen Stipendium und der Tatsache, dass besonders sein Vater mehr als wohlhabend ist, gestaltet seinen Alltag recht entspannt. Sein mathematisches Talent geht bei all’ den Lebenserfahrungen zum Glück auch nicht verloren und er schließt sein Bachelor-Studium mit Bestnoten ab.

Panik vor dem darauf folgendem echten Leben muss er nicht haben - irgendwie war es für alle Beteiligten selbstverständlich, dass er nach dem Abschluss bei LANCASTER RESORTS anfängt. Erst als Buchhalter - zur Einführung kommt er für ein Jahr zurück nach Gold Coast, um in der Zentrale den Überblick zu gewinnen, bevor sein Vater ihn rund um die Welt schickt. Die 27 Standorte der Hotels sind schließlich quer über den Globus verteilt; und Milo fällt es recht leicht, neue Sprachen und Dialekte zu lernen. Das knappe Jahrzehnt nach seinem Abschluss verbringt er genau damit: die Welt zu bereisen, von einem LANCASTER RESORT zum Nächsten. Als Lancaster kommen ihm da sicher so einige Privilegien zu, und er kann nicht bestreiten, dass der Aufstieg die Karriereleiter hoch sicherlich einfacher war, als anderswo - aber er ist auch ein Arbeitsmensch, gibt 100% - und hat nicht nur eine Nacht im Büro verbracht. Er liebt es, das ständige Reisen: die neuen Kulturen, die er kennen lernt. Aber irgendwann kommt wohl jeder an einen Punkt, wo man für etwas längere Zeit an einem Ort bleiben möchte. Nicht nach ein, zwei Jahren weiter ziehen und alle Freunde und Beziehungen hinter sich lassen. Jetzt, mit 30, ist Milo definitiv an den Punkt gekommen - und auch an den Punkt, wo er sich nicht mehr sicher ist, ob seine Zukunft in der Familien-eigenen Hotelkette ist. Er verdient gut, ohne Frage - hat in den meisten Fällen einfach im Hotel gewohnt; ein Luxus, den nicht viele haben. Aber irgendwas stört ihn an dieser Welt, - hat genug Kontakte zu anderen Hotelketten, um so einige Tricks der Steuerhinterführung, Veruntreuung und sonstigen Illegalitäten mitzubekommen. Sein Rückzug in seine Heimat hat somit nicht nur was mit dem Wunsch, sich endlich irgendwo niederzulassen zu tun, sondern auch mit dem Karrierewechsel zum Wirtschaftsprüfer.